Über die Schönheit, die im Bruch entsteht.
Es gibt Momente, die sich anfühlen, als stünde die Zeit still. Augenblicke, in denen das Herz kaum mehr als einen stummen Schlag wagt, als könne es die Wucht des Lebens nicht länger tragen.
Jene Stunden, in denen unser Wesen sich in Splitter auflöst, die scharfkantig und unordentlich auf dem Boden unserer Seele liegen. In solchen Augenblicken zu atmen, zu bleiben, nicht wegzusehen, kann eine Kunst sein. Doch genau hier, in diesem Chaos, wird etwas geboren, das wir oft erst später begreifen können:
Wir selbst.
Das Zerbrechen ist eine Tat des Schicksals, ein Moment brutaler Ehrlichkeit. Es zwingt uns, das zu sehen, was wir so lange nicht wahrhaben wollten. All die Risse, die uns heimlich durchzogen haben – die feinen Linien der Traurigkeit, die Spuren der Angst, die Schatten eines Schmerzes, den wir nicht fühlen wollten.
Wenn wir zerbrechen, zerfallen wir nicht einfach in Stücke.
Nein, wir werden enthüllt.
– Was bleibt, ist der Kern.
Es liegt nah, diese Momente zu verfluchen. Wir sehen die Trümmer und glauben, wir seien nichts mehr wert. Doch was, wenn genau diese Trümmer der Anfang einer neuen Ordnung sind? Was, wenn das Zerbrochene nicht das Ende, sondern die Wahrheit und damit der Beginn von etwas Neuem, Größerem ist?
In den Nächten, in denen wir die Scherben aufsammeln, lernen wir eine neue Sprache.
Sie spricht von Geduld, vom Suchen und vom Annehmen dessen, was ist. Jede Kante, die uns zuvor verletzt hat, wird durch unsere Hände geschliffen. Wir lernen, aus den Teilen ein neues Ganzes zu schaffen – eines, das nicht vorgibt, makellos zu sein. Unsere Narben erzählen Geschichten, und mit jedem Riss in der Fassade dringt mehr Licht in uns ein.
Es ist ein Paradox: Wir glauben, dass Ganzheit der Zustand ist, in dem nichts fehlt, nichts beschädigt ist. Doch die Wahrheit ist, dass Ganzheit in der Annahme des Zerbrochenen liegt. In der Akzeptanz, dass unser Zusammenbruch uns nicht zerstört hat, sondern geformt.
Die japanische Kunst des Kintsugi, bei der zerbrochene Keramikstücke mit Gold repariert werden, zeigt uns eine Weisheit, die wir oft übersehen. Das Zerbrochene wird nicht etwa versteckt, sondern hervorgehoben. Die Bruchstellen, die einst Zeichen des Versagens waren, werden zu Adern von Wert und Schönheit. Wir sind wie diese Gefäße – nicht trotz unserer Brüche, sondern gerade weil wir sie tragen, sind wir einzigartig.
Vielleicht liegt in jedem Zusammenbruch eine Einladung.
Eine Einladung, uns selbst zu begegnen – nicht in der Perfektion, die wir uns wünschen, sondern in der Wahrheit, die wir sind. Wenn wir lernen, den Splittern nicht auszuweichen, wenn wir uns trauen, die scharfen Kanten zu berühren, dann entdecken wir, dass wir nie wirklich zerstört wurden.
Zerbrochen, doch ganz – das ist kein Widerspruch. Es ist das Wesen des Lebens. Wir zerfallen, um uns neu zusammenzusetzen. Und in diesem ständigen Tanz zwischen Zerstörung und Schöpfung finden wir uns selbst. Ganz. Und schöner als je zuvor.
Rebecca | Schreibtrunken
Aus den Gedanken zu dieser Thematik entstanden ein paar weitere Zeilen.
Sie tragen den Titel GOLDENE MALE.





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