Die Kontrolle des Unkontrollierbaren

Täglicher Schreibanreiz
Bist du abergläubisch?

Abergläubisch? Ich?

Nein. Natürlich nicht. Ich verlasse mich auf Vernunft, auf Wissenschaft, auf meine Erfahrungen. Ich fürchte keine schwarzen Katzen, von welcher Seite sie auch kommen mögen, der 13. Stock ist eine Etage, wie jede andere auch und ich klopfe auch nicht dreimal auf Holz, wenn ich von etwas Gutem spreche. Aberglaube ist für andere. Für all jene, die an mystische Zeichen glauben und die Kontrolle über ihr Leben in fremde Hände legen. – Ist doch sooder?


Der Ursprung des Wortes „Aberglaube“ liegt im Althochdeutschen „aber“, was so viel bedeutet wie „verkehrt, falsch“ – der „falsche Glaube“, eine Überzeugung, die nicht dem christlichen Dogma entsprach.

Hhm. Ist Aberglaube denn wirklich falsch? Oder ist er vielmehr eine Art Schutzzauber, der dem Mensch das Gefühl geben soll, das Unkontrollierbare doch irgendwie kontrollieren zu können – und wäre es damit nicht auch erklärbar, warum manche Menschen daran festhalten? Wollen wir nicht alle gern „Herr der Lage“ sein und nutzen jede sich uns bietende Möglichkeit, die Dinge nach unserer Vorstellung zu gestalten?

Bin ich nicht manchmal auch bemüht, das „Schicksal nicht herauszufordern“ und zögere deshalb in manchen Situationen, obwohl es, objektiv betrachtet, keinen Grund dazu gibt? Wünsche ich mir nicht manchmal, das Universum möge mir doch bitte ein Zeichen senden oder versuche zumindest, es nicht unnötig aus der Reserve zu locken – nur für alle Fälle?

Packe ich den Spiegel, den ich da umhängen möchte, wirklich nur deshalb mit äußerster Vorsicht an, weil er nicht kaputtgehen soll – oder will ich nicht doch auch so ein klitzekleines bisschen die Möglichkeit ausschließen, dass er mir runterfallen könnte und dann am Ende doch was dran ist, an diesen vermaledeiten sieben Jahren Pech? (Man will‘s ja schließlich „nicht beschrei‘n“ …)

Vielleicht ist Aberglaube nicht nur ein Relikt alter Zeiten, sondern ein Schatten, der sich in unserem Denken verbirgt – verborgen, aber nicht verschwunden. Und spätestens, wenn uns etwas unheimlich wichtig ist, schleicht er sich dann eben heimlich von hinten an. 

Würde ich bei Vollmond entgegen des Uhrzeigersinns um die Linde am Dorfplatz tanzen und mit Räucherwerk den Geistern meiner Vergangenheit oder Zukunft zu Leibe rücken, würde sicher auch Frau Müller-Maier-Schulze von nebenan erkennen, dass es mit meinem Vertrauen ins Hier und Jetzt nicht allzu weit her sein kann, aber vielleicht ist Aberglaube ja auch sehr viel subtiler und nicht einmal von uns selbst immer als solcher zu erkennen. 

Vielleicht sind wir alle ein wenig abergläubisch, wenn es drauf ankommt. Wenn das Schicksal unberechenbar scheint, wenn wir uns nach einem Funken Sicherheit sehnen. Vielleicht ist Aberglaube nicht der Glaube an das Irrationale, sondern eher die Hoffnung darauf, dass wir nicht ganz allein sind in dieser Welt, dass es Zeichen gibt, Muster, an denen wir uns orientieren können, die uns Halt geben dass dieses ganze Chaos doch irgendwie Sinn ergibt.  

Nein, ich bin nicht abergläubisch.  

Aber dieser kleine silberne Schornsteinfeger, den ich an Silvester vom Glücksklee-Töpfchen abgepfriemelt habe, stört da im Geldbeutel ja nicht wirklich. Soll er doch da bleiben. 

Nur so. Für alle Fälle.

Rebecca | Schreibtrunken


Mein Buch bei Amazon oder Epubli – oder wo auch immer du gern Bücher kaufst. 🙂

2 Antworten zu „Die Kontrolle des Unkontrollierbaren”.

  1. Avatar von Kleine Menschen

    Glaube ist immerhin in allem:) Egal welchen Fakt man sich selber erzählt. Irgendwo steckt immer ein Quäntchen Hoffnung drin, dass die Welt so ist, wie sie ist und das wir uns das alles nicht nur einreden. Die Aussage „Ich koche Spagetti“ hat in erster Linie nichts mit Glauben zu tun. Tatsächlich glaubt aber die ganze Welt z.B. dass eine bestimmte Nudelform sich Spagetti nennt und dass das Wort „Ich“ ein Konzept ist, das jedem bekannt sein sollte, obwohl sowohl Philosophie als auch Psychologie meines Wissens sehr unterschiedliche Erklärungen innerhalb der Wissenschaft dazu haben. Geschweige denn was für Narrativen noch in diesem Satz stecken. Glaube ist so wichtig. Und ich bin Agnostiker;) ich liebe diesen Text! Er hat mich zum nachdenken über etwas gebracht, das für mich (mittlerweile) offensichtlich ist, aber das mehr Leute hören sollten!

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    1. Avatar von Rebecca
      Rebecca

      🥰 Ich mag, wie du denkst.

      Ja, wir glauben immer. Speziell in Bezug auf die Religion glauben auch die, die sagen, sie glaubten nicht. Sie glauben eben, an eine Nicht-Existenz Gottes (ich bezeichne mich übrigens auch als Agnostiker und denke, gerade dann, wenn es um Themen geht, die niemals jemand wird beweisen können, gibt es – zumindest für mich – keine Alternative zu dem Eingeständnis, einfach unwissend zu sein).

      Jede unserer Handlungen – oder das Unterlassen derselben – entsteht durch das, was wir darüber denken/glauben.

      Danke für deine Worte und hab noch einen schönen Abend! ✨

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