Zu viel – doch nicht genug


Über die kindliche Wahrnehmung emotionaler Vernachlässigung

Auf die ein oder andere Weise betrifft diese Thematik uns alle und auch, wenn wir mit unserer Herkunftsfamilie gebrochen haben, womöglich aus absolut nachvollziehbaren Gründen, ist die Beziehung zur eigenen Mutter eine der engsten, die man zu einem anderen Menschen haben kann (ob es uns gefällt oder nicht) – und vielleicht gerade deshalb auch häufig so schmerzhaft.

In diesem Buch darf alles Raum einnehmen, was Raum braucht:

  • Wut
  • Trauer
  • Fragen
  • Erinnerung
  • Hoffnung
  • Heilung

Wir alle sind das Kind irgendeiner Mutter –

wie auch sie irgendjemandes Kind war.

Manchmal öffnet allein dieser Gedanke, so logisch und oftmals erschreckend fremd er auch ist, bereits neue Sichtweisen. Eine leise Ahnung, dass da noch mehr sein könnte, als wir bisher wahrgenommen haben.

Rein thematisch habe ich ein solches Buch schon seit gut drei Jahrzehnten auf meiner Agenda, doch hätte ich es eher geschrieben, wäre das Ergebnis vermutlich sehr eindimensional gewesen – und genau das möchte ich vermeiden.

Viele Texte und Gedichte sind hierzu bereits entstanden, doch fertig ist das Buch noch nicht. Ich bin selbst gespannt, wie sich das alles weiterentwickelt und werde hier sicher ab und an mal davon berichten.

Das nur mal vorab – und damit einen schönen Tag und viele Grüße!
Rebecca


Zu viel – doch nicht genug

Als Kind spürt man mehr, als man versteht.
Man liest zwischen den Blicken. Man hört, was nie gesagt wurde.
Und irgendwann begreift man: Man ist nicht willkommen.
Nicht wirklich.

Nicht die Schreie waren das Schlimmste.
Nicht die Schläge.
Was am meisten schmerzte, ist sehr viel subtiler.

Es war das ewige Nichts zwischen uns.
Die Umarmung, die ausblieb.
Der nie spürbare Stolz, dass es mich gab und ich ihr Kind war. 
Die Worte, die ich gebraucht hätte,
und die Stille, die sich stattdessen um mich legte wie eine zweite Haut.

Ich fühlte mich wie ein Störgeräusch in ihrem Leben.
Ein Fehler in ihrer Planung.
Wie ein Schatten, der zwar Makel unsichtbar machen kann,
das Gesicht aber auch älter und hässlicher macht,
wenn das Licht ungünstig fällt.

Ich war zu viel mit meinem Bedürfnis nach Nähe –
aber auch nach dem Alleinsein. 
Zu laut mit meinen Fragen,
zu empfindlich mit meinen Tränen.
Und doch nie genug, um ihre Aufmerksamkeit zu verdienen.
Nie liebenswert genug, um wirklich gesehen zu werden.
Nie bedeutend genug, um ihr Herz zu erreichen.

So zumindest empfand ich es immer.

Und so wuchs in mir das Gefühl, falsch zu sein.
Nicht bloß in ihren Augen – grundsätzlich.

Ich suchte überall nach meinem Platz.
In Freundschaften. In der Schule. Beziehungen. Berufen.
Aber ich trug diesen unsichtbaren Makel mit mir herum:

Die stille Überzeugung, eine Zumutung zu sein.
Eine Last.

Ich habe gelernt, mich anzupassen.
Mich kleinzumachen. Still zu sein.
Nach außen wurde ich „pflegeleicht“.
Im Innern herrschte Chaos.
Ich entwickelte Strategien, um geliebt zu werden –
durch Rücksicht, durch Leistung, durch Selbstverleugnung.
Aber der Hunger blieb.

Emotionaler Mangel ist tückisch.
Er schreit nicht. Er schlägt nicht.
Er formt dich langsam, leise, mit kalten Händen.
Er legt dir den Glaubenssatz ins Herz,
dass du nur dann eine Daseinsberechtigung hast,
wenn du zu jemandem wirst,
den andere aus dir machen wollen.

In meinem Fall hieß das:
Unauffällig. Still.
Und so wenig ich selbst,
dass ich mich eines Tages fragte,
wer dieser Mensch überhaupt war,
der mir da aus dem Spiegel entgegenblickte.

Es hat Jahre gedauert, bis ich verstand:
Es war nicht meine Schuld.
Ich war kein Fehler.
Ich war ein Kind, das geliebt werden wollte.
Ein Kind, das ein Recht auf Zuwendung hatte.
Ein Kind, das nicht zu viel war – sondern übersehen.
Zur falschen Zeit am falschen Ort.

Heute weiß ich:
Wer sich in seiner Kindheit nicht sicher sein kann,
ob er auf dieser Welt willkommen ist,
lebt oft ein Leben lang auf gepackten Koffern.
Immer bereit zu fliehen,
immer bereit, sich zu rechtfertigen,
immer auf der Suche nach einem Zuhause.

Aber ich darf mir dieses Zuhause jetzt selbst schaffen.
Mit meiner Wahrheit.
Mit Mitgefühl.

Und mit dem Mut, mir selbst den Platz zu geben,
der schon immer der meine war.

Rebecca | Schreibtrunken


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