Magdeburg, Aschaffenburg, München – und noch etliche mehr. Die Städte tragen Narben. Die Welt, die wir einst kannten, scheint sich leise zu entziehen, wie ein Nebel, der sich im Morgengrauen auflöst. Diese fast vergessene Welt, in der das Lachen der Kinder frei und unbeschwert durch die Straßen hallte, in der die Zukunft wie ein unbeschriebenes Blatt vor ihnen lag – voller Möglichkeiten und Träume.
Doch was geschieht mit einer Gesellschaft, wenn das Unvorstellbare zur Gewohnheit wird und die Angst, die einst flüchtig war, zum ständigen Begleiter?
Die Normalisierung des Unnormalen
Es schleicht sich auf Zehenspitzen in unser Leben, als „Ausnahme“, „Einzelfall“, der großen Besonderheit, mit der niemand gerechnet hat – kaum wahrnehmbar. Anfangs sind es nur Worte, Nachrichten, Schlagzeilen: ein weiterer Anschlag, eine weitere Gewalttat. Irgendwo.
Wieder ein Ort, der nicht durch seine Schönheit, nicht durch seine Geschichte in Erinnerung bleiben wird, sondern durch das Leid, das dort verursacht wurde.
Immer häufiger füllen sich die Nachrichtenkanäle mit Bildern von zerstörten Orten und gebrochenen Leben. Die Menschen sind entsetzt, gehen auf die Straßen, trauern – doch mit der Zeit wird die Empörung leiser, die Betroffenheit stumpfer – nicht aus Gleichgültigkeit, sondern aus Erschöpfung.
Der Mensch gewöhnt sich an vieles, selbst an das Grauen.
Klingt „unsympathisch“, ist aber letztlich ein Überlebensmechanismus.
Sie kennen keine andere Welt. Sie lernen früh, welche Winkel auf dem Schulhof sicherer sind, welche Geräusche Alarm bedeuten. Sie lernen, dass Rucksäcke durchsucht werden können, dass eine Tasche am falschen Ort Panik auslöst, dass man nicht jederzeit überall hingehen sollte.
Sie sehen, dass Erwachsene angespannt sind, dass Blicke öfter als früher über die Schulter geworfen werden und dass „Tatütata“ nicht nur ein Spiel ist, sondern die Warnung vor etwas Echtem und Gefährlichem.
Im Unterricht lernen sie nicht mehr nur die üblichen Fächer, die wir Erwachsenen noch gelernt haben, sie lernen Verhaltensregeln für den Ernstfall: „Was muss ich bei einem Angriff tun?“ Diese Lektionen werden zu einem festen Bestandteil ihres Alltags – fast so selbstverständlich wie der Blick aufs Handy.
Hatte früher ein Kind Angst vor Monstern unter seinem Bett, hat man ihm gesagt, dass es keine Angst zu haben braucht, weil es keine Monster gibt – heute wissen Kinder, dass sie real sind, keine Märchengestalten – und wir wissen es auch. Und nicht einmal bis Mitternacht ist man sicher.
Kindheit in Zeiten von Terror und Gewalt
Kinder und Jugendliche sollten in einer Welt aufwachsen dürfen, in der sie keine Angst haben müssen, wenn sie sich mit Freunden zum Spielen treffen, auf Weihnachtsmärkte oder Konzerte gehen oder wohin auch immer. Doch wenn Gewalt und Bedrohung allgegenwärtig sind, verliert die Kindheit ihre Unschuld. Das Spiel wird vorsichtiger, die Neugier gedämpfter.
Diese Kinder werden im schlimmsten Fall zu Erwachsenen, die sich damit abgefunden haben, in einer Welt zu leben, die von Misstrauen geprägt ist – Misstrauen gegenüber Fremden, gegenüber dem öffentlichen Raum und vielleicht sogar gegenüber der Hoffnung selbst.
Eine Gesellschaft verändert sich unweigerlich unter dem Druck ständiger Bedrohung. Die Menschen ziehen sich zurück, öffentliche Plätze verlieren ihre Lebendigkeit, Bekanntschaften werden genauer beäugt, bevor man sie an sich heranlässt. Zäune wachsen, Kameras blinken, Regeln werden strenger – aber die Angst schwindet nicht.
Ja … Manchmal verbindet Schmerz auch und inmitten von Angst und Chaos entstehen Solidarität und Widerstandskraft. Menschen finden neue Wege, sich zusammenzuschließen und sich gemeinsam zu engagieren – doch diese Momente des Lichts können die Schatten nur bedingt vertreiben.
Was bleibt uns zu tun?
Ohne Hoffnung kann keine Gesellschaft bestehen, ohne den Glauben daran, dass Veränderung möglich ist. Es liegt an uns allen, Eltern, Lehrern, Politikern und Künstlern, dafür zu sorgen, dass Kinder trotz allem Zuversicht empfinden können. Dass sie wissen: Ja, die Welt kann dunkel sein. Aber sie kann auch leuchten – wenn wir dafür kämpfen.
Denn am Ende sind es wir selbst, unsere Entscheidungen und unser Handeln, die bestimmen, wie unsere Kinder die Welt, in der sie aufwachsen, wahrnehmen. Und vielleicht liegt genau darin unsere größte Aufgabe: Unseren Kindern beizubringen, dass selbst inmitten von Dunkelheit immer ein Licht leuchten kann – wenn wir es gemeinsam entzünden.
In Anbetracht der aktuellen Lage scheint das eine verdammt schwierige Aufgabe. Doch ich denke, wenn wir sie nicht meistern, werden wir uns in nicht allzu ferner Zukunft an noch sehr viel mehr Übel „gewöhnen“ müssen …
Die Gesellschaft mag sich wandeln, ihre Unbeschwertheit verblassen, aber solange sich noch Stimmen erheben, solange noch jemand mutig und vielleicht auch verrückt genug ist, an eine bessere Welt zu glauben, ist nicht alles verloren.
Ein bisschen Mut zur Menschlichkeit.
Wenn schon nicht in der Welt und auf den Straßen, dann zumindest in den eigenen vier Wänden, dem eigenen Umfeld – denn das können wir in jedem Moment beeinflussen. Und was auch immer wir tun, es zieht Kreise …
Hab noch einen möglichst schönen Tag!
Rebecca | Schreibtrunken
Ergänzung
Diesen Artikel habe ich am gestrigen Samstag geschrieben, dem 15. Februar 2025. Die Morde von Aschaffenburg hallen noch stark nach, ich habe um die Ecke gewohnt, war so oft an dieser Stelle, und noch während ich diese Zeilen hier getippt habe, gab es im österreichischen Villach bereits das nächste Todesopfer durch einen Messerangriff zu beklagen. Einen 14-jährigen Jungen. Am selben Tag, an dem bekannt wird, dass eine Zweijährige und ihre Mama das Attentat von München nicht überlebt haben.
Man kommt all diesen Ereignissen kaum mehr hinterher und genau das ist es, was mich so erschreckt und was ich in diesem Artikel thematisiert habe. Es ist eine grausige Vorstellung, wir könnten uns an „sowas“ gewöhnen, nicht mehr ganz so erschüttert sein, die Dinge bedauern, aber – na ja … is halt so, was willste machen.
Ich habe keine Vorstellung davon, wie sich das alles künftig entwickeln wird – und vielleicht ist es auch ganz gut so. Ein bisschen möchte ich mir meine vielleicht auch etwas naive Hoffnung auf einen Wandel zum Positiven noch erhalten …





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