Über frühe Prägungen und seine mitunter lebenslangen Auswirkungen
Manche Kinder kommen mit einem unsichtbaren Auftrag zur Welt:
Sie lernen früh, zwischen den Zeilen zu hören, Stimmungen zu deuten, in die Stille zu lauschen. Sie werden zu kleinen Dolmetschern von Ungesagtem, zu Friedenswächtern im eigenen Zuhause – sie tragen die Schwere, damit die anderen es leichter haben.
Häufig „versagen“ sie. Die Liebe der Eltern zerbricht trotzdem.
Die Türen fallen ins Schloss. Die Kälte zieht ein.
Das Kind steht mit leeren Händen da und fragt sich:
Was hab ich falsch gemacht?
Solche Kinder wachsen nicht selten mit einem Gefühl der Unzulänglichkeit heran. Mit Schuld. Mit einer tiefen, stummen Scham und mit dem vernichtenden Gefühl, nicht zu genügen. Nicht liebenswert zu sein. Fehlerhaft.
Wenn später jemand auftaucht, und „Ich mag dich“ sagt oder zeigt, fragt sich das Kind im Innern des Erwachsenen:
Warum?
Was willst du wirklich?
Womit muss ich zahlen?
Was muss ich tun, um bleiben zu dürfen?
Oder dass du bleibst?
Zuneigung ist verdächtig geworden.
Verdächtig schön. Verdächtig nah.
Und alles, was nah kommt, könnte erneut wehtun.
Und weil sie sich nicht vorstellen können, dass man sie „einfach so“ liebhaben könnte, dass da tatsächlich nichts sein soll, was man im Gegenzug von ihnen erwartet, trauen sie weder sich noch anderen – und verletzten dadurch gerade die, die es ehrlich mit ihnen meinen.
Von dieser Thematik erzählt das folgende Gedicht.
Lieben Gruß und eine gute Woche euch allen!
Rebecca | Schreibtrunken
Pflasterkind
Hier trage ich dir das Gedicht auf Instagram vor
Nein, ich bin kein „Missgeschick“.
Ich wurde ganz bewusst geboren.
Doch nicht als Krönung eines Glücks,
das war schon lange vor mir verloren.
Neben mir in meiner Wiege
lag ein großer Auftrag:
Ein Pflaster zu sein für die Liebe –
ich hielt aber nicht. Hab versagt.
Wie ein Tombola-Trostpreis
verstaubte ich bald im Regal.
Wie etwas, wovon man schon kaum mehr weiß,
wo es mal herkam – war auch egal.
Ich erlernte die Kunst des Schweigens,
durch Mauern und Risse zu sehen.
Erkannte: das Ende des Leidens
liegt im Versuch, zu verstehen.
Ich wurde geboren, als Brücke.
Als Puffer, als Grund zum Verzeih’n.
Als Dämmstoff für eine Lücke –
ich passte halt nur nicht hinein.
Ich war aber deshalb nicht fehlerhaft,
der Fehler war stattdessen,
zu denken, ein Kind hätte ausreichend Kraft,
die Welt zu retten, neu zu vermessen.
Doch niemand heilt einen offenen Bruch
mit einem “Wird schon werden”.
Den Tod besiegt kein Zauberspruch
und alles was lebt, muss mal sterben.
Mein Verstand hat längst begriffen:
Die Schuld trug niemals ich.
Doch kommt man mir nah,
überleg ich noch immer:
Was willst du eigentlich wirklich?
Es fällt mir schwer, mir vorzustellen,
es ginge um mich allein.
Mag man mich – bedingungslos?
Oder soll ich stattdessen
ein Pflaster sein?
Rebecca | Schreibtrunken
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